Montag, 12. Dezember 2011
365 tage vorher
ihr kennt mich, ich komm zurecht. wenn auch nicht gut.
es war in etwa um diese uhrzeit, 365 tage vorher.
es waren an die 100 tabletten, auf einmal eingeschmissen.
ich habe mich ins bett gelegt, hoffte, all die qualen endlich beendet zu haben, schloss meine augen und schlief ein.
das nächste, was ich bewusst mitbekam, war zwei tage später. ich wachte auf und der erste mensch, den ich erblickte, war meine mutter. sie saß neben meinem bett, sie war gefasst, etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. der blaue liegestuhl mit dem polster, in dem sie saß, sah gar nicht mal so unbequem aus, doch mehrere tage und nächte hätte ich freiwillig nicht darin verbracht. da war mir das bett, in dem ich mich befand, trotz der schläuche mit denen in verbunden war, lieber. tropf, dauer-ekg, herzfrequenzmessgerät.
ich sei noch am gleichen abend aufgestanden und hätte mich übergeben müssen, war nicht ansprechbar, habe gelallt, wusste nicht wo oder wer ich war.
meine mutter rief den krankenwagen und den notarzt. ich wollte nicht auf die liege, wollte selbst den weg zum wagen gehen, inmitten von meter hohem schnee, obwohl meine beine mein gewicht nicht mehr halten konnten. doch die sanitäter schnallten mich darauf fest und rasten mit blaulicht und martinshorn ins krankenhaus.
"psychose" lautete der erste verdacht des behandelnden therapeuten, der mir noch zu sehr bekannt war aus meiner vorherigen begonnen stationären therapie.
doch schnell wurde klar, dass es eine überdosis tabletten war. außerdem fand man zu dem zeitpunkt noch extasy und cannabinoide.
ich redete wirres zeug, sah dinge, die nicht existierten, beleidigte den arzt, schlug eine schwester, als sie versuchte, meinen tropf neu zu befestigen, aus angst, sie würde meine offenen wunden verarzten wollen. an all das erinnere ich mich bloß, wie an einen schlechten traum, unreal, wie aus einer anderen perspektive. ich sah meinen hund, nahm meine bettdecke in den arm und redete zu ihr, wie zu einem kleinen baby. ich sah das wasser im zimmer steigen und mich zu ertränken drohen. ich hörte das baby neben mir, dass einen luftröhrenschnitt erleiden musste und bildete mir ein, es sei meine schwester, die schnarchte. ich warf dem therapeuten wilde drohungen an den kopf, versprach, seinen namen ganz sicher niemals in meinem leben zu vergessen.
die nächsten tage verliefen ruhig. ich versuchte langsam wieder etwas zu essen, bloß ein halbes brötchen, hatte gespräche mit ärzten, las viel, schaute fern und langweilte mich. zuerst sollte ich verlegt werden, in ein spezial krankenhaus, weil eine irreperable leberschädigung vermutet wurde. doch das war nicht der fall.
eine weitere therapeutin, die ich jedoch noch nicht kannte, betrat mein zimmer und begann ein gespräch mit mir.
ich sagte ihr ganz klar, ich wolle nicht mehr leben und wurde kurz darauf mit dem krankenwagen wenige meter weiter auf die geschlossene gebracht.
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was soll ich groß dazu sagen? es ist vergangen, vorbei, vergessen. zumindestens von den menschen um mich herum. von mir selbst nicht.
heute dann bloß in der schule gewesen, gekifft, gelernt, geschlafen, gefressen und gekotzt.
was würde ich geben für all diese tabletten. ich würde es schlauer anstellen, würde alkohol dazu mischen, würde noch mehr auf einmal schlucken, um sicher zu sein, dass es klappt.
doch ich bin hier, sitze vor dem pc und versuche die düsteren gedanken zu vertreiben.
heute wird nicht gestorben.
einerseits bedauere ich es, andererseits, weiß ich, dass meine familie einen weiteren versuch nicht überstehen würde. also muss ich sicher sein, dass es klappt, wenn ich es wieder versuche. dazu fällt mir ein wortwechsel mit meinem neuen therapeuten ein:
"nimmt das xy krankenhaus dich denn jetzt überhaupt noch auf, wo du 18 bist oder müsstest du dann in das yz krankenhaus?"
ich denke genau nach über die folgenden worte.
"nein, ich denke, sie würden mich nicht mehr aufnehmen."
konjunktiv. ich zitiere: "Der Konjunktiv wird für die Darstellung einer Möglichkeit benutzt und daher auch als Möglichkeitsform bezeichnet" Quelle
möglich.
alles ist möglich, doch diese zeitform schließt die vorherige planung eines suizids aus. keine absichten, keine gedanken daran.
und ich beginne bereits im ersten gespräch, meinen therapeuten zu manipulieren.
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Irgendwann weißt du womöglich zu schätzen, dass du keinen bleibenden Leberschaden davongetragen hast.. und bis dahin schaufle ich mit beiden Händen das Wasser weg, das dich zu ertränken droht.
AntwortenLöschenIrgendwie hatte ich immer darauf gewartet, dass du mal postet, was überhaupt passiert war. Mich macht der Text so unendlich traurig, aber ich bin froh, dass ich es nun endlich weiß. Ich vermisse dich sehr und ich hoffe so sehr, dass du so schnell es geht einen Weg hier raus finden kannst. Denn du hast es mehr, als nur verdient.
AntwortenLöschenach julia.. ich versuche eigentlich nur ein guter mensch zu sein und endlich das leben zu leben, das ich mir für mich vorgestellt habe.
AntwortenLöschenich weiß gar nicht, wie du jeden tag durchstehst, es klingt so, als würdest du nur leiden. du musst mit der faust auf den tisch hauen und dir sagen: scheiß auf die anderen, scheiß darauf, wie sie mich finden, meinen körper, mein aussehen, meinen charakter. ich bin ich und ich mache das, was mir spaß nacht.
ich esse eine pizza, weil sie mir schmeckt und weil ich bock drauf habe und weil ich irgendwann sterbe und keiner danach fragt, ob ich in meinem leben am tag xy eine pizza gegessen habe.
vergiss nicht zu lachen und spaß zu haben und zu dir zu stehen und dich selbst zu mögen. das ist das wichtigste im leben und das ist uns verloren gegangen und wir müssen es uns wieder holen.
Ich hatte auch einmal Tabletten geschluckt. Achtzig an der Zahl von meinem damaligen Antidepressivum. Mit dem Tod hatte ich schon im Vorraus nicht unbedingt gerechnet, dazu war die Dosis für mich auch einfach zu gering. Trotzdem hatte ich darauf gehofft, einen Magendurchbruch zu bekommen. Letzendlich hätte ich auch ein Wachkoma in Kauf genommen. Am Ende erbrach auch ich alles und drohte am Ende sogar an dem Schleim im Rachen zu ersticken. Lähmungen in den oberen Gliedmaßen kamen auf und ich verlor die Orientierung. Der erste Tag danach verlief wie jeder andere, nur dass ich am ganzen Körper zitterte und meine Mimik noch ganz gestört war. Ins Krankenhaus bin ich deswegen nicht gegangen.
AntwortenLöschenWenn ich mich heute übergebe, ohne mir dabei etwas in den Rachen zu stecken, dann bloß durch jene Erinnerung an dem bitteren, ätzenden Geschmack im Mund der aufgelösten Tabletten.
"Diesen Tag hättest du nicht erleben dürfen", sage ich mir manchmal. Und das sehr selten im positiven Sinne. Aber ich bin noch hier, obwohl mir jegliche Möglichkeiten offen stehen, es wieder zu tun.
Ich kann nachvollziehen, wie du dich fühlst - wirklich. Aber in dir muss noch ein Funken - Quatsch, ein sehr großer!- Selbsterhaltungstrieb stecken, dass du vieles noch in deinem Alltag bewältigen kannst, wenn auch mit sehr viel Anstrengung.
Du bist 1000 Mal stärker als manch andere. Und ich glaube an dich, weil du die Stärke hast, mit vielem zurecht zu kommen. Und eines Tages, dass weiß ich, wirst auch du jene Stärke nutzen, um dich von der Essstörung befreien zu können. Das wünsche ich dir nämlich vom ganzen Herzen.
Simone